Sie sind hier: Startseite / Aktuelles / Fit für Zukunft? Stadtentwicklung in Leipzig in Zeiten des Wandels

Fit für Zukunft? Stadtentwicklung in Leipzig in Zeiten des Wandels

Rückblick auf die Podiumsdiskussion anlässlich der Ausstellungseröffnung: "Die Gestalt des Raumes. Landschaften Deutschlands als Abbilder der Gesellschaft“

Anhand von Luftaufnahmen können sich Besucherinnen und Besucher ein Bild von den sich wandelnden Landschaften in Deutschland machen, in die der Mensch eingreift: Siedlungen werden erweitert, Tagebaugebiete aufgegeben. Die Energiewende bringt Windkraftanlagen und Solarfelder. Verkehrstrassen, Wohn- und Gewerbegebiete werden auf landwirtschaftlichen Nutzflächen gebaut. Dabei ist Boden eine begrenzte Ressource. Die 15 Tafeln mit Begleittexten zeigen das empfindliche Spannungsfeld zwischen Entwicklung und Bewahrung, begründeten Nutzungsansprüchen und nachhaltiger Entwicklung über die vergangenen Jahrzehnte.

Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung e. V. Dresden und des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung. Sie beruht auf dem gleichnamigen Buch von Wendelin Strubelt, Fabian Dosch und Gotthard Meinel mit Fotos von Jürgen Hohmuth und Marcus Fehse, erschienen Anfang 2022 im Wasmuth & Zohlen Verlag.

Gemeinsam mit Leipzigs Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau, Thomas Dienberg, diskutierten am 15. Mai zur Ausstellungseröffnung Expertinnen und Experten über die Frage: Wie kann man eine Stadt wie Leipzig fit für die Zukunft machen?. Es moderierte Akademiemitglied Prof. Dr. Bernhard Müller, Seniorprofessor an der Fakultät Umweltwissenschaften der TU Dresden und Vorsitzender der Kommission Landeskunde der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.

Podiumsdiskussion zur Gestalt des Raumes
Podiumsdiskussion anlässlich der Eröffnung der Ausstellung Die Gestalt des Raumes - Landschaften Deutschlands als Abbilder der Gesellschaft am 15. Mai 2023.

Mobilität, bezahlbares Wohnen, Flächennutzungskonkurrenz

Drei Themen bestimmten den Abend, die Bürgermeister Thomas Dienberg gleich zu Beginn als wichtige Aufgaben benannte: Mobilität, bezahlbares Wohnen sowie der richtige Umgang mit "Flächennutzungskonkurrenz" – also mit Zielkonflikten, was die Nutzung von Flächen betrifft.

Denken der 50er Jahre noch vielerorts verankert

Für die Gestaltung einer nachhaltigen Transformation sei vielerorts ein Umdenken erforderlich, denn viele Regularien basierten noch auf einer Denkweise der 1950er Jahre, so Dienberg. "Wenn ich in Sachsen auf einer geförderten Straße 30 km/h anordne, laufe ich mitunter Gefahr, die Fördermittel zurückzahlen zu müssen", illustrierte er mit einem Beispiel, "Warum? Weil im Förderbescheid steht, dass die Stadt die Fördermittel erhält, damit der Verkehr flüssig und rasch fließen kann. – Und was ist 'der' Verkehr? KFZ!". Diese Problematik ziehe sich durch alle Systeme hindurch. Da müsse man ansetzen. Auch gelte es, vorhandene Entscheidungsspielräume besser auszunutzen.

Prof. Dr. Sigrun Kabisch (UFZ)
rechts im Bild: Prof. Dr. Sigrun Kabisch, Leiterin des Departments Stadt- und Umweltsoziologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)

Bezahlbares Wohnen für alle Bevölkerungsschichten

Prof. Dr. Sigrun Kabisch ist Leiterin des Departments Stadt- und Umweltsoziologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Sie sagte: "Bezahlbares Wohnen in einer gesunden Umgebung für alle Bevölkerungsschichten ist grundlegend für ein gutes Leben in der Stadt und auf dem Land." Angesichts der wachsenden Bevölkerungszahlen in Leipzig und der starken Flächennutzungskonkurrenz wies sie darauf hin, dass im regionalen Umfeld von Leipzig durchaus Potentiale existierten, um bezahlbare Wohnangebote in einem guten ökologischen Umfeld anzubieten. "Das hat sich in der jüngeren Vergangenheit durchaus entwickelt, da entsprechende Verkehrsverbindungen und Bahnstrecken entstanden sind". Möglicherweise müsse man noch weiter blicken, "und auch etwas weiter entfernte Kommunen mitnehmen". Hierfür wichtig wären entsprechende infrastrukturelle Voraussetzungen, wie etwa IT-Infrastruktur, "die es erlaubt, von dort zu arbeiten und dort zu wohnen."

Wohnungstausch statt neuer, teurer Mietverträge

Ferner forderte Kabisch mehr Mut, Regularien zu schaffen, die es erlauben, vorhandenes Potential besser auszunutzen. So gäbe es viele ältere Menschen, die in großen Wohnungen lebten und im höheren Alter lieber in kleinere Wohnungen umziehen würden, die sie besser bewältigen könnten. Durch die Mietpreisentwicklung würden diese Menschen jedoch dafür bestraft, da ein neuer Mietvertrag für eine kleinere Wohnung teurer sei als der alte für ihre große Wohnung. Neue Ideen und Konzepte seien hier gefragt. Generell sei es wichtig, innerhalb der Wohnviertel Wohnungen unterschiedlicher Preiskategorien anzubieten.

Bürgermeister Dienberg berichtete, umzugsinteressierte Menschen hätten nicht nur die Sorge, ob sie sich eine neue Wohnung leisten können; "die viel größere Sorge ist, ihr soziales Umfeld zu verlieren". Er stimmte zu, dass es wichtig sei, in der Nachbarschaft geeigneten Wohnraum zu finden. Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB), deren Aufsichtsratsvorsitzender Dienberg ist, probiereviel aus, um Wohnungstauschangebote zu ermöglichen.

Thomas Dienberg
links im Bild: Thomas Dienberg, Bürgermeister und Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig

Mehrfachnutzung – Aufwand, der sich lohnt

Auch die Mehrfachnutzung von Baugrundstücken sei wichtig, auch wenn es aufwändig sei, die unterschiedlichen Nutzungsparteien an einen Tisch zu holen. Einstöckige Gebäude von Firmen-Ketten wie Aldi oder Lidl seien in Zukunft nicht mehr denkbar, über Geschäftskomplexe müssten Wohnungen, so Dienberg. Hier gelte es, ein gutes Beispiel zu sein. Generell sei mehr Experimentierfreude gefragt. Zwar habe Leipzig in den 1920er Jahren bereits einmal über 700.000 Einwohnerinnen und Einwohner gehabt, aber unter völlig anderen Voraussetzungen. "Daher müssen wir komplett anders handeln und denken. Ein Punkt ist, dass wir unseren Anspruch an Raum, an Versiegelungsfläche anders organisieren müssen."

Zu hoher Flächenverbrauch

Dr.-Ing. Gotthard Meinel ist Leiter des Forschungsbereichs Raumbezogene Information und Modellierung am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung. Gemeinsam mit Wendlin Strubelt und Fabian Dosch hat er das Buch "Die Gestalt des Raums" herausgegeben, dem die Ausstellung zugrunde liegt. "Einer der Nachhaltigkeitsindikatoren der Bundesregierung ist es, die Flächeninanspruchnahme deutlich zu senken", berichtete er. Eine Reduzierung auf 20 Hektar pro Tag sollten ursprünglich 2020 erreicht werden; dieses Ziel sei auf 2030 verschoben worden mit nun 65 Hektar pro Tag. "Wir werden nicht wirklich besser", sagte er. "Dabei brauchen wir für die Ernährungssicherheit unbedingt eine ökologische Landwirtschaft, und diese braucht deutlich mehr Fläche als die konventionelle. Wir können die Böden nicht immer weiter kaputt machen." Gute Böden seien häufig gerade im Umfeld der Städte zu finden.

Dr.-Ing. Gotthard Meinel
rechts: Dr.-Ing. Gotthard Meinel, Leiter des Forschungsbereichs Raumbezogene Information und Modellierung am Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung.

Auch ländliche Gegenden unter Druck

Der Trend zum Flächenverbrauch sei aber auch im ländlichen Raum hoch, "die Bürgermeister stehen unter Druck, Gewerbefläche aufzuzeigen, Wohnraum zu schaffen, damit die Bürger dort bleiben und ihre Zukunft dort sehen." Bürgermeister Thomas Dienberg: "Wenn der Bürgermeister einer kleinen Stadt belohnt würde, Fläche einzusparen, hätte er eine ganz andere Motivation, das zu machen." Er betonte nochmals, "dass die jetzige Situation etwas damit zu tun hat, dass die Instrumentarien nach wie vor die Instrumentarien des alten Denkens sind". 

Gotthard Meinel berichtete weiter, dass die Ergebnisse eines wissenschaftlichen Projekts, welches die positive Wirksamkeit von Flächenkontingentierung und Flächenhandel belegte, leider nicht in die Praxis übernommen wurden. Jetzt bleibe es beim "Gut-Zureden", konstatierte er.

Kommunalisierte Regulative nicht immer hilfreich

Thomas Dienberg: "Unser Problem ist auch, dass unsere Regulative kommunalisiert sind und dabei natürlich politische Themenstellungen eine Rolle spielen." Er glaube, „dass dieses Thema auf Länder- oder Bundesebene hochgezogen werden muss." Man könne das wunderbar anhand der Regionalplanung sehen, die ganz unterschiedlich in den Bundesländern organisiert sei. "Da, wo sie wie in NRW auf staatlicher Ebene verbindlich organisiert ist, ist es sehr viel besser möglich, großräumige, über kommunale Gebietsgrenzen hinausreichende Festlegungen zu treffen", etwa was regionale Grünzüge beträfe. 

Grün in Stadt und Land

Hinsichtlich des Anteils von Grün in Stadt und Land gebe es derzeit Entwicklungen, "die althergebrachte Bilder ins Gegenteil verkehren", sagte Akademiemitglied Prof. Dr.-Ing. Catrin Schmidt, Direktorin des Instituts für Landschaftsarchitektur der TU Dresden. Sie ist Mitglied der Kommission Landeskunde der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und war früher selbst in der Planungspraxis tätig.
Während in Großstädten sich das Nutzungsmosaik in den vergangenen Jahrzehnten verfeinert hätte, wäre das Gegenteil deutlich auf dem Land zu beobachten. "Interessanterweise ist der Waldanteil in der Bundesrepublik nicht etwa auf dem Land am meisten angewachsen, sondern in unseren Großstädten." Dennoch sei die Situation längst nicht ideal.

Prof. Dr. Catrin Schmidt
Mitte: Prof. Dr.-Ing. Catrin Schmidt, Direktorin des Instituts für Landschaftsarchitektur der TU Dresden und Mitglied der Kommission Landeskunde der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.

Klimawandel abfedern

"Wir haben wir eine Verdreifachung von Hitzetagen, wir haben Starkregenereignisse, die abgefedert werden müssen", gibt sie zu bedenken. Eine Stadt wie Singapur schaffe es, trotz seiner dichten Besiedlung auf zwei Dritteln der Stadtfläche Regenwasser zu sammeln und für Trinkwasserversorgung und andere Zwecke zu nutzen. "Das sind die Zielmarken", sagt sie. Großes Potential berge zudem die Mehrfachnutzung etwa von Parkplätzen, die mit Photovoltaik-Anlagen als Schattenspendern ausgestattet werden könnten oder die Umrüstung von Dächern im Einfamilienhaussektor, die ohnehin erneuert werden müssen, da sie nicht mehr der Wärmeschutzverordnung entsprechen. Gründach und Solaranlagen lauten hier die Stichwörter für die Dachsanierung. Generell bestimme die Grünausstattung sehr das Wohlbefinden in der Stadt. Auch Neuzugezogene hätten einen Anspruch auf Grün.

Urbanen Wald und Wildnis als Strategie erkennen

"Leipzig hat als eine der ersten Städte ganz gezielt urbane Wälder auch auf Brachflächen angelegt. Das mit strategischem Blick zu machen, nämlich eine neue Flächennutzungskategorie zu erfinden und diese an unterschiedlichen Flächen zu erproben, war in Leipzig schon markant." Schmidt betonte auch den Wert von Brachflächen und urbaner Wildnis. "Ökologisch bieten Brachflächen zweifelsohne die größte Artenvielfalt, auch im Vergleich zu Parkanlagen oder zu sehr intensiv gepflegten Grünflächen", so Schmidt. Die Frage sei, ob der Wert dieser Flächen wahrgenommen werde.

Eine Teilnehmerin aus dem Auditorium bedauerte, dass Brachflächen teilweise abgesperrt würden, da sie auch als Orte der Begegnung für Gruppen junger Menschen dienten. Dazu Catrin Schmidt: Sie plädiere dafür, Stadtwildnis auch als Strategie zu verstehen, Möglichkeitsräume zu eröffnen. "Je individueller unsere Ansprüche in der Stadt werden, desto mehr Vielfalt brauchen wir an solchen unterschiedlichen Grünflächenkategorien."

Podiumsdiskussion zur Ausstellung Die Gestalt des Raumes
Etwa 40 Interessierte kamen in die Volkshochschule zur Podiumsdiskussion und Ausstellungseröffnung.

Netto-Null-Versiegelung

Auch das Thema Netto-Null-Versiegelung für Leipzig kam zur Sprache, also das vom Stadtrat beschlossene Ziel, für jeden neu versiegelten Quadratmeter im Stadtgebiet dieselbe Fläche innerhalb des Stadtgebietes zu entsiegeln oder zu kompensieren. Thomas Dienberg sagte hierzu, er habe das Stadtplanungsamt gebeten, auszuarbeiten, was dies für Leipzig bedeute.

Was kann jede und jeder einzelne tun?

"Wir alle sind als Stadtgesellschaft aufgefordert, zu gestalten – wir tun es auch, sonst wäre es in Leipzig nicht so schön", so Sigrun Kabisch. Beteiligungsmöglichkeiten gebe es verschiedene, zum Beispiel Diskussionsrunden oder die öffentlichen Stadtbeiratssitzungen. Sie beobachte, dass besonders bei vermeintlich kritischen Themen die Bürgerinnen und Bürger aktiv sein. "Bei anderen Themen ist das Interesse eher verhalten." Es werde viel gefordert, auch zurecht, aber es könnte noch mehr ehrenamtliches Engagement geben. Es gebe bereits viele Initiativen, aber es könnten noch mehr sein, so Kabisch. Sie verwies zudem auf die Stadtteilbudgets, durch welche kleine Projekte und Initiativen gefördert werden können.

Zukunft? Jetzt!

In der Abschlussrunde endete auch Thomas Dienberg mit dem zukunftsweisenden Credo: "Wir sollten mutig sein" und neue Projekte ausprobieren. "Leipzig ist eine Bürgerstadt und die Bürgerinnen und Bürger haben schon immer ihre Stadt selbst mitgestaltet. Die Stadtverwaltung befördert das und wird versuchen, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen."

Text: Birgit Pfeiffer

Weiterführende Links

Podiumsdiskussion: Fit für Zukunft? Stadtentwicklung in Leipzig in Zeiten des Wandels

Ausstellung: Die Gestalt des Raumes – Landschaften Deutschlands als Abbilder der Gesellschaft

Zum Buch „Die Gestalt des Raumes“, mit Fotos, Informationen zum Inhalt, über die Herausgeber, Fotografen, Autoren, Rezensionsstimmen.

IÖR-Forschungsdatenzentrum (IÖR-FDZ) am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V.:

Das Forschungsdatenzentrum des IÖR stellt Informationsgrundlagen und Anwendungen für die Unterstützung einer nachhaltigen Landwende und einer transformativen Stadt- und Regionalentwicklung bereit.

Stadtbezirksbudget:

Mit der Einführung von Stadtbezirksbudgets möchte die Stadt Leipzig Partizipation und Mitwirkung der Bürgerschaft weiter stärken. Seit 2021 verfügt jeder Stadtbezirksbeirat über ein eigenes Budget in Höhe von 50.000 Euro pro Jahr. Damit können Ideen und Vorhaben vor Ort direkt unterstützt werden.

Termine
RECHT HABEN WOLLEN. Wie sollen gesellschaftlich brisante Themen in der Wissenschaft debattiert werden? 07.06.2024 09:00 - 18:00 — Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Karl-Tauchnitz-Straße 1, 04107 Leipzig
Akademie-Forum: "Gender in Grammatik und Sprachgebrauch" 28.06.2024 16:00 - 18:00 — Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Karl-Tauchnitz-Straße 1, 04107 Leipzig
26th International Conference of the European Association for South Asian Archaeology and Art 16.09.2024 - 20.09.2024 — Universität Leipzig, Augustusplatz 10, 04109 Leipzig
Denkströme

Denkströme IconDas Open Access (Online-)Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften:

www.denkstroeme.de

Diffusion Fundamentals

Diffusion Fundamentals IconInterdisziplinäres Online Journal für Diffusionstheorie in Kooperation mit der Universität Leipzig:
diffusion.uni-leipzig.de

Internationale Konferenzreihe:
saw-leipzig.de/diffusion