Anita Steube: Sprachbegriffe

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Pieter Bruegel der Ältere: Der Turmbau zu Babel, 1563. Kunsthistorisches Museum Wien

a) Sprache im Sinne von ‘Sprachfähigkeit’ wird mit N. Chomsky 1996 (deutsch): Probleme sprachlichen Wissens. Weinheim (Athenäum) als angeborene Disposition des Menschen zum Erwerb jeglicher natürlichen Sprache angesehen und parallel z.B. zu den angeborenen Dispositionen für den arteigenen aufrechten Gang des Menschen betrachtet.

‘Sprachfähigkeit’ liegt Sprache im Sinne b) zugrunde, insofern als das heranwachsende Kind aus der Sprachverwendung seiner Sprachgemeinschaft [sagen wir im einfachsten Fall: der Verwendung seiner Muttersprache] unbewußt stufenweise die Regularitäten dieser (Mutter-)Sprache findet, damit seine Disposition ausbaut und zu b) spezifiziert.

b) Sprache im Sinne von ‘Sprachkenntnis einer Einzelsprache’ als eine mögliche Spezifizierung der ‘Sprachfähigkeit’ ist die mentale Grammatik einer Einzelsprache. Sie wird bis zum schulreifen Alter erworben und stellt ein Systems aus Elementen und Kombinationsregeln dar, mit dessen Hilfe alle und nur die richtigen Sätze der Einzelsprache erzeugt und verstanden werden können. Die sprachwissenschaftliche Beschreibung zerlegt die ‘Sprachkenntnis einer Einzelsprache’ in Teilkenntnisse: das lexikalische Wissen, das semantische (= Bedeutungs-)Wissen, das syntaktische, das morphologische, das lautliche (phonologische) Wissenssystem. Wenn ‘Sprachkenntnis einer Einzelsprache’ auch als die systematische Laut-Bedeutungszurodnung dieser Sprache verstanden werden kann, übernehmen Syntax und Morphologie darin die Vermittlung zwischen Phonologie und Semantik, welche an den beiden Enden der Laut-Bedeutungszuordnung je eine Schnittstelle des sprachlichen zu nichtsprachlichen Kenntnissystemen besetzen, und zwar die phonologischen Struktuen die Schnittstelle zu akustischen bzw. artikulatorischen Strukturen, die semantischen zu begrifflichen Strukturen.

Über die Grammatik hinaus wird auch die Fähigkeit zum Erzeugen und Verstehen von kohärenten Texten dieser Einzelsprache aufgebaut, die man sich als komplexes Zusammenspiel von sprachlichen (neben dem grammatischen Wissen das Texttypen- und Genrewissen) und außersprachlichem Wissen (Sozialverhalten, Normenkenntnisse, Sachwissen, die Fähigkeit zur Situationsanalyse, etc.) vorstellen kann.

c) Sprache b) ist – zumindest im Erwachsenenalter – eine Abstraktion, denn entwickelte Sprachen mit einer sozialen Schichtung bzw. regionalen Dirreferzierung ihrer Sprecher sind ‘Systeme von Varianten von Sprachkenntnissen’: diese Sprachen zerfallen in regionale, soziale, textspezifische und stilistische Systemvarianten. Sprecher benutzen je nach Situation, Kommunikationsaufgabe und Gesprächspartner z.B. eine überregionale Umgangssprache / eine Verkehrssprache / eine geschriebene amtssprachliche oder wissenschaftssprachliche Standardvariante / etc. Kodifiziert ist im allgemeinen nur der überregionale Standard mit seinen lexikalischen Varianten entsprechend der Textart und Stilschicht. Ein überregionaler Standard muß aus der historischen Notwendigkeit heraus jeweils bewußt zu diesem gemacht und im Interesse der Sprachgemeinschaft auch gepflegt werden. Die anderen regionalen Varianten existieren weiterhin nur als mentale Grammatiken.

Die Differenzierung der Variantenkenntnis beginnt mit dem Schulalter erst richtig und hält – berufs- und interessenbedingt – ein Leben lang an. Dasselbe trifft auf den Umfang der Textrezeptions- und produktionskenntnis zu.

d) ‘Sprachkenntnis’ in Ausdifferenzierung c) ist Grundlage der tasächlichen sprachlichen Äußerungen / Texte, die jeweils kontextgebundene ‘Sprachverwendungen’ darstellen und auf dem Hintergrund dieser Kontexte (Sprecher, Hörer, Ort, Zeit der Äußerung; Interaktionsziel, Sachbezug, Medium etc.) adressatenabhängig interpretiert werden. In der konkreten Verwendung entfaltet die Sprache ihre durch die Pragmatik untersuchte kommunikative Wirkung.

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