Am 15. Oktober 2025 sprachen Peter Moldt, Bernd Püschel, Christian Fuhrmann und Andreas Ilse über ihre Erfahrungen als „Bausoldaten“ in der DDR. Sie hatten den bewaffneten Wehrdienst als junge Männer abgelehnt und sich für den Ersatzdienst entschieden – mit schwerwiegenden Konsequenzen. Das Zeitzeugengespräch war Teil des Akademie-Projekts "Umgang mit Andersdenkenden und die Konsequenzen: eine datenbasierte Analyse der Politik der SED gegenüber den Bausoldaten".
Text: Franziska Naether und Anke Silomon
Für die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte und der Lebenswege von Bausoldaten ist es von großer Wichtigkeit, auch mit Zeitzeugen zu sprechen. Denn diese sind eine unverzichtbare Quelle, um mehr Informationen über die Zeit des Ersatzdiensts zum bewaffneten Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) zu erhalten. Daher haben die Mitarbeitenden des Bausoldatenprojekts an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften (gefördert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes), das zum 31.12.2025 endet, am 15. Oktober einen Projektabend gestaltet, um mit ehemaligen Bausoldaten und Gästen ins Gespräch zu kommen.
Großes Interesse an Zeitzeugen
Nach einem Filmabend im Herbst 2024, der bereits auf gute Resonanz stieß, war das Interesse groß, mit direkt Betroffenen, also ehemaligen Bausoldaten, zu diskutieren und vor allem den Konsequenzen ihrer Verweigerungshaltung für ihren Lebensweg nach dem Bausoldatendienst nachzuspüren. Nach einer Einführung von Dr. Franziska Naether stellten Dr. Anke Silomon und Peter Mühleder zunächst das Projekt vor, gaben einen Einblick in den Maschinenraum der Datenbank „Weedata“ und erläuterten erste Forschungsergebnisse.
Viele Bausoldaten engagieren sich ehrenamtlich
Eine der Forschungsthesen im Projekt impliziert, dass einstige Bausoldaten danach und häufig Zeit ihres Lebens sich ehrenamtlich engagieren - sei es politisch, kirchlich oder zivilgesellschaftlich. Das Projekt hat außerdem gezeigt, dass sich die Erforschung der Bausoldaten schon angesichts vermeintlich simpler Daten und Fakten als ausgesprochen schwierig gestaltet:
Schwierige Quellenlage
Es fehlen bis heute verlässliche Angaben darüber, wie viele Bausoldaten es insgesamt in der DDR gab, an wie vielen NVA-Standorten wann Bausoldaten zum Einsatz kamen, ob es eine standardisierte Form der Erfassung und Musterung und feste Vorgaben für den Umgang mit Bausoldaten gab. Das liegt einerseits daran, so unsere Vermutung, dass Unterlagen vernichtet worden sind, oder derartige Aspekte aus Geheimhaltungsgründen oder aus reiner Unprofessionalität und organisatorischer Überforderung nicht systematisch erfasst worden sind.
Projektkontext
Das Bausoldatenprojekt setzt das Vorgängerprojekt „Kirchliche Praxis in der DDR“ fort, das in Kooperation mit der Forschungsstelle „Kirchliche Praxis in der DDR. Kirche (sein) in Diktatur und Minderheit“ in enger Abstimmung mit der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig in Person von Landesbischöfin a.D. Ilse Junkermann und Prof. Alexander Deeg durchgeführt wurde. Es ist angestrebt, in diesem Bereich an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Folgeprojekte im Bereich Geschichtswissenschaft und Digital Humanities zu initiieren.
Zeitzeugengespräch auf dem Podium
Der Höhepunkt des Abends war das Gespräch mit den vier ehemaligen Bausoldaten. Dafür haben wir vier unterschiedliche Protagonisten eingeladen – aus verschiedenen Regionen, Alterskohorten und beruflichen Feldern. Auf dem Podium saßen: Peter Moldt, Bernd Püschel, Christian Fuhrmann und Andreas Ilse. Peter Moldt, geboren 1946 in Brandis, war 1967 bis 1969 in Bärenstein stationiert. Bernd Püschel, der 1947 in Weißenfels zur Welt kam, war 1973 bis 1975 in Holzdorf Teil des Bau-Pionier-Bataillon 14. Christian Fuhrmann, 1959 in Halberstadt geboren, ist der einzige Theologe und verbrachte seine Bausoldatenzeit von 1985 bis 1987 in Weißkeisel und Holzdorf. Der 1961 in Halle/Saale geborene Andreas Ilse hat bereits als Teenager in Sommerlagern der Aktion Sühnezeichen mitgearbeitet und war 1983 bis 1985 Bausoldat in Prora/Rügen.
Das Zeitzeugengespräch auf dem Podium wurde von Ilse Junkermann und Anke Silomon moderiert. Auf die Einstiegsfrage, welche Stellung der Bausoldatenzeit in ihrem Leben zukomme, antworteten die vier Waffendienstverweigerer in kurzen, persönlichen Statements. Darauf folgten drei Gesprächsrunden, in denen die vier Zeitzeugen reflektierten über ihren Weg bis zur Entscheidung, den Dienst an der Waffe zu verweigern, dann über ihre 18-monatige Bausoldatenzeit berichteten und zuletzt über die Nachwirkungen und Konsequenzen nach dem waffenlosen Dienst.
Was die Bausoldaten erlebten
Peter Moldt betonte, dass sein Leben ohne die Bausoldatenzeit sicher ein besseres gewesen wäre, und berichtete von zahlreichen Verletzungen, Demütigungen, der Omnipräsenz der Stasi und dem daraus resultierenden Gefühl der Ohnmacht. Doch habe er es als Bereicherung empfunden, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein. Bernd Püschel hatte als „Fabrikantensohn“ schon in der Schulzeit die traurige Erfahrung gemacht, als Staatsfeind zu gelten und entsprechend behandelt zu werden. Er war von seinem Bruder, der bereits vor ihm als Bausoldat gedient und traumatische Erfahrungen gemacht hatte, „vorbereitet“ worden auf dieses Zeit. Püschel betonte ebenfalls, dass er die Wertigkeit von Freundschaften mit anderen Bausoldaten erkannt und geschätzt habe und durch seine Leidenschaft, zu fotografieren – was natürlich nicht erlaubt war – den Bausoldatendienst einigermaßen gut überstanden habe. Hingegen war für Christian Fuhrmann, der bereits im Alter von 17 Jahren gemustert worden, vom Direktor seines kirchlichen Gymnasiums beraten und erst nach dem Studium als Vater dreier Kinder zum letztmöglichen Zeitpunkt eingezogen worden war, die Bausoldatenzeit eine Schule des Lebens, die ihn lehrte, Machtstrukturen nicht einfach hinzunehmen, sondern sie zu hinterfragen. Ähnlich bewertete Andreas Ilse seine Zeit in Prora mit anderen Hunderten Bausoldaten, in der er lernte, zu argumentieren und dem Druck etwas entgegenzuhalten. Er koordinierte Eingaben an den Staat und organisierte Gruppen und Netzwerke. Allerdings waren die Arbeiten, die er zu verrichten gezwungen war, furchtbar und gefährlich. Ilse brachte einen Stein aus Prora mit, um an das ihn durch diese Zeit tragende Motto zu erinnern, dass Wasser den Stein brechen kann.
In einem Punkt waren sich alle vier Gäste einig: Die Bausoldatenregelung war für sie ein Kompromiss mit fahlem Beigeschmack: Die jungen Männer, die aus christlichen bzw. pazifistischen Gründen den Waffendienst verweigert haben, hätten den Wehrdienst lieber total verweigert. Doch die Angst vor harten Konsequenzen wie langjährigen Haftstrafen unter unmenschlichen Bedingungen führte dazu, dass sie sich für den Bausoldatendienst entschieden. Im Übrigen wurden auch die Angehörigen der Waffendienstverweigerer abgestraft und mussten alle Konsequenzen mittragen.
Zusammenhalt war wichtig
Übereinstimmend betonten die Zeitzeugen, dass der Zusammenhalt zwischen den Bausoldaten sehr hilfreich war, um kleine Widerstandsakte durchzusetzen, sich in Zivilcourage zu üben, sich gegenseitig Halt zu geben, in der Freizeit zusammen zu musizieren und sich auszutauschen und so letztlich die Dienstzeit zu überstehen.
Danach hatte das Publikum Gelegenheit, den ehemaligen Bausoldaten Fragen zu stellen. Hier drehte sich die Diskussion vor allem um heute noch aktive Netzwerke der Bausoldaten, die Vergleichbarkeit mit der Situation in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks und Formen von Widerstand und kleinen Akten der Ungehorsamkeit und auch Sabotage im Bausoldatenalltag.
Noch viele Fragen offen
Der Abend hat gezeigt, dass zu den Verweigerern des Dienstes an der Waffe in der DDR noch viele Fragen offen sind, bemerkenswerterweise im Bereich der Grundlagenforschung (Zahlen und Strukturen), und dass von allen Beteiligten stark begrüßt wird, dass hier mehr Forschung passiert und mehr an die Schicksale der Bausoldaten erinnert wird, die zum Teil heute noch mit Traumata aus dieser Zeit zu kämpfen haben. Forschungsdesiderata betreffen auch Aspekte der Beeinflussung der Familien der Bausoldaten, ihre Beobachtung durch die Staatssicherheit der DDR sowie ihr Verbleib bis in die heutige Zeit in diversen professionellen und ehrenamtlichen Kontexten.
Anknüpfung an aktuelle Debatte um neue Form des Wehrdienstes
Viele ehemalige Bausoldaten haben sich nach ihrer Dienstzeit politisch und gesellschaftlich engagiert. Angesichts der Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen rückt auch die Frage nach militärischen Einsätzen in europäischer Verantwortung wieder in den Fokus. Damit verknüpft ist die öffentliche Debatte um die von der Bundesregierung ab 2026 vorgesehene neue Form des Wehrdienstes, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert, aber zu einer Aufstockung der Bundeswehr führen soll.
Die wissenschaftliche Forschung zu den Bausoldaten und die ergänzenden Berichte der Zeitzeugen sind wertvoll und nützlich für aktuelle gesellschaftliche Diskurse und müssen daher weitergeführt werden.